
Eine in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzende Unterstützung für Goethes naturwissenschaftliche Studien bot die Universität Jena. Nur 23 Kilometer östlich der Residenzstadt Weimar gelegen, herrschte hier ein reges akademisches Leben, das es Goethe erlaubte, jederzeit fachkundige Experten anzusprechen und die Sammlungen zur Geologie, Mineralogie und Zoologie zu konsultieren. Um ungestört seinen wissenschaftlichen Studien nachgehen zu können, lebte er oft einige Wochen lang in Jena, wobei er zunächst den Flügel des alten Stadtschlosses bewohnte, in dem auch die Sammlungen untergebracht waren. Er selbst trug einiges dazu bei, dass die Universität diese Sammlungen stetig erweiterte und setzte sich dafür ein, dass man gute Dozenten anwarb.
Eine weitere in Jena von ihm oft aufgesuchte Örtlichkeit war der Botanische Garten, wo er ab dem Sommer 1817 das Inspektorhaus bewohnte. Hier konnte er sich mit August Johann Georg Karl Batsch (1761–1802), der 1794 zum ersten Direktor dieses Gartens ernannt wurde, austauschen. Auch mit dessen Nachfolgern Franz Joseph Schelver (1778‒1832) und Friedrich Siegmund Voigt (1781–1850) erörterte Goethe botanische Themen und Methoden; alle drei Naturforscher nahmen das Konzept der Metamorphose der Pflanzen zur Richtlinie ihrer Tätigkeit.
Schädel eines Nagetiers, nach einer Skizze Goethes
Abbildung: Klassik Stiftung WeimarDie Jenaer Professoren Justus Christian Loder (1753‒1832) und Johann Georg Lenz (1748–1832) waren ebenfalls wichtige Gesprächspartner Goethes: Bei Loder vertiefte er seine Kenntnisse in Anatomie, gemeinsame Untersuchungen führten 1784 zur Entdeckung des Zwischenkieferknochens beim Menschen. Lenz war Kurator der Sammlungen für Mineralogie und Geologie und Gründer der „Mineralogischen Societät“ in Jena, später wurde er auch Bergrat und Professor. Als Hüter des geologischen Kabinetts bereicherte er die Sammlungen mit großer Begeisterung.
In Abstimmung mit Johann Friedrich August Göttling (1755–1809) förderte Goethe die Chemie an der Universität durch die Einrichtung eines ersten Lehrstuhls (1789) und kümmerte sich als Minister um die Einrichtung eines chemischen Laboratoriums. Göttlings Nachfolger wurde Johann Wolfgang Döbereiner (1780–1849), mit dem Goethe in regem mündlichen wie schriftlichen Verkehr stand.
Jena und die Naturwissenschaften stehen auch am Beginn der Freundschaft von Goethe mit Friedrich Schiller (1759–1805). Die berühmte Auseinandersetzung über die „symbolische Pflanze“ führte zur näheren Vereinigung der beiden Dichter. Goethe hat dies später in seinem Text Glückliches Ereignis festgehalten. Von Schiller gibt es ein Briefzeugnis vom 21. November 1794, worin er über Goethe schreibt: „Er ist ein höchst interessanter Charakter in jedem Betracht, und seine Sphäre ist so weit ausgebreitet. In naturhistorischen Dingen ist er trefflich bewandert und voll großer Blicke, die auf die Ökonomie des organischen Körpers ein herrliches Licht werfen.“
In Jena traf Goethe auch auf die Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). In den vielschichtigen Auseinandersetzungen und produktiven Wechselwirkungen mit diesen Denkern gewann er wichtige Impulse für seine Naturforschung und wurde umgekehrt seine Metamorphosenlehre von Schelling und Hegel intensiv rezipiert [s. Förster 2022]. Durch Fichtes Wissenschaftslehre (1794) wird Goethe bestärkt in dem Gedanken der fundamentalen Polarität aller Erscheinungen. Gemeinsam mit Schelling studiert er dessen Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799). Doch sollte sich Goethe nie allzu stark auf naturphilosophische Spekulationen einlassen – dazu war er zu sehr an der genauen Beobachtung orientiert. Hegel fragt auf dem Weg zu seiner Phänomenologie des Geistes (1807) und im Bezug auf Goethe danach, wie sich Bewusstsein und organisches Leben voneinander unterscheiden lassen.
Schräge und waagrechte Felsformationen, Skizzen von Goethe
Abbildung: Germanisches Nationalmuseum NürnbergBereits 1794 waren Wilhelm von Humboldt (1767–1835) und Alexander von Humboldt (1769–1859) nach Jena gekommen. Mit beiden Brüdern pflegte Goethe in dieser Zeit einen regen Austausch über die Methode der Naturforschung; Alexanders Reisen sollte er mit Bewunderung verfolgen; seine geologischen Hypothesen wurden vom alten Goethe aber nicht mehr goutiert. Der Kontakt mit Wilhelm hielt dagegen lebenslang an.
Goethe hatte ab 1809 bzw. offiziell ab dem Jahr 1815 die „Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaften und Kunst in Weimar und Jena“ und war damit für den geregelten Betrieb der Universität verantwortlich. Das Personal der akademischen Institution mit damals rund 2000 Studenten stand ihm dabei zu Diensten: Die Gärtner, Kustoden und Assistenten setzten seine Vorschläge und Ideen um, sie lieferten ihm Material und besorgten seine Aufträge.
Schichtwolkendecke mit aufgesetzten Kummuluswolken, Federzeichnung Goethes
Abbildung: Klassik Stiftung WeimarAb 1811 entstand auf Anweisung von Carl August ein Netz von meteorologischen Messstationen im Herzogtum. Die neu errichtete Sternwarte in Jena – sie wurde an das ehemalige Gartenhaus Schillers angebaut – war die Zentrale; sie wurde zunächst von dem Astronomen Karl Dietrich von Münchow (1778–1836) geleitet, ab 1819 von Johannes Friedrich Posselt (1794–1823). Die Sternwarte versorgte Goethe mit astronomischen und meteorologischen Daten und Statistiken sowie Wetterbeobachtungen, denen er in späteren Jahren große Aufmerksamkeit widmete. Ludwig Schrön (1799–1875) übernahm nach Posselts Tod 1823 die Leitung der Sternwarte und konnte auch in Goethes Heften Zur Naturwissenschaft publizieren.
Allerdings ging es in der akademischen Welt nicht ohne Missstimmungen ab. So kam Goethe mit dem Mediziner Lorenz Oken (1779–1851), der ab 1807 in Jena lehrte, nie in ein gutes Verhältnis. Sie waren unterschiedlicher Meinung, was die Wirbeltheorie des Schädels betraf. Als einer der führenden Vertreter romantischer Naturphilosophie gab Oken die Zeitschrift Isis heraus; politische Differenzen waren schließlich dafür verantwortlich, dass er 1819 Jena verlassen musste.
(Margrit Wyder, erscheint in: „Bewegliche Ordnung“. Goethes Naturforschung, hrsg. von Helmut Hühn und Margrit Wyder. Göttingen 2025.)