EINLADUNG ZUM ANSCHAUEN. MITTUN  UND VERWEILEN: Dr. Helmut Hühn, Leiter des  Goethe-Laboratoriums der Universität, freut  sich als einer der Kuratoren der neuen Dauerausstellung auf zahlreiche Gäste

»Schule des Sehens«

GOETHE-GEDENKSTÄTTE WIRD ZUM LABORATORIUM
EINLADUNG ZUM ANSCHAUEN. MITTUN UND VERWEILEN: Dr. Helmut Hühn, Leiter des Goethe-Laboratoriums der Universität, freut sich als einer der Kuratoren der neuen Dauerausstellung auf zahlreiche Gäste
Foto: Anke Klein

Text: Anke Klein. In: Stadtmagazin 07, Ausgabe 161, Juli/August 2024.

Im Inspektorenhaus des Botanischen Gartens am Fürstengraben, das seit 1921 ein Museum 
beherbergt, eröffnet nach langer Sanierung eine neue Dauerausstellung, die Goethes morphologische Naturforschung in den Fokus rückt.

Jahrelang war die Gedenkstätte geschlossen, als Anlaufpunkt für Einheimische und Touristen fast in Vergessenheit geraten. Die Hofanlage, 1825 auf Goethes Initiative nach Plänen des Weimarer Baumeisters Clemens 
Coudray erbaut, offenbarte noch im Zuge der Bauarbeiten mehr und mehr Schäden. Von Rissen gezeichnet und statisch auf wackligen Beinen, waren Rückbauten bis auf die Tragkonstruktion notwendig. Die Gründung musste verstärkt, Deckenbalken ertüchtigt, das Dach wiederhergestellt werden. Doch nun meldet sich das kleine, um einen Raum erweiterte Museum unter dem Namen »Goethe-Laboratorium« mit einer neuen Ausstellung zurück.

Gleich am Eingang wird der Besucher fortan vom imposanten, 1826 geschaffenen Ganzfigurenporträt des Düsseldorfer Malers Heinrich Christoph Kolbe empfangen. Es zeigt vor mediterraner Kulisse einen alten, über 70jährigen Goethe vor dem Golf von Neapel und rauchendem Vesuv und verweist damit in assoziativer Rückschau nicht nur auf den begeisterten Italienreisenden und Poeten, sondern auch auf den Naturforscher, der sich zeitlebens für Meteorologie, Geologie, Anatomie und Botanik begeisterte und den Aufbau der Naturwissenschaften an der Jenaer Universität entscheidend vorantrieb. Insofern als »Programmbild« zu verstehen, bietet es eine nahtlose Überleitung zu der von Margrit Wyder (Zürich) und Museumsleiter Helmut Hühn kuratierten Ausstellung »Bewegliche Ordnung«, die Goethes naturwissenschaftliches Denken und Forschen, das maßgeblich um die Begriffe Morphologie und Metamorphose kreist, multidimensional und lebendig greifbar macht.

Im Zentrum steht dabei Goethes berühmter morphologischer Leitsatz: »Gestaltenlehre ist Verwandlungslehre«. Um das dynamische Ganze des Bildungs- und Umbildungsprozesses in der Natur erfassen und sich darin offenbarende Prinzipien erkennen zu können, muss nach Goethes Überzeugung das empirische Sehen einzelner Formen durch ein Sehen mit den »Augen des Geistes« verbunden werden und der Forscher »selbst so beweglich und bildsam« sein wie sein Gegenstand. Goethe darin folgend, will das Laboratorium weniger »Huldigungsstätte« für das Universalgenie Goethe, vielmehr eine »Schule des Sehens« sein, die für ein bewusstes Wahrnehmen abseits komplizierter technischer Apparaturen sensibilisiert. 


OBJEKT ERSTEN RANGES: ELEFANTENSCHÄDEL VON 1684

Die drei Ausstellungsräume ähneln mithin eher kleinen Forschungs- und Studierkabinetten, die immer auf das konkrete Objekt bezogen zum vertieften Anschauen, Vergleichen, Anfassen, ja sogar zum Zeichnen 
einladen und so Goethes morphologisches Konzept verdeutlichen. So lässt sich an den Schädeln von Schildkröte, Pferd und Kamel bis hin zum riesigen Originalpräparat eines afrikanischen Elefanten aus dem 17. Jahrhundert das Prinzip der Reihenbildung beim Zwischenkieferknochen nachvollziehen, das Goethe zur Entdeckung des »Os intermaxillare« beim Menschen verhalf. Anhand diverser Granitsorten werden seine geologischen und mineralogischen Forschungen lebendig und anhand von Opalen, wie er seinen Dichterkollegen Schiller für diese Materie zu begeistern suchte. Der Botanik-Raum schließlich, in dem das vom Jenaer Hofmechanikus Otteny gefertigte botanische Besteck Goethes zu bestaunen ist, führt facettenreich die Lehre von der Metamorphose der Pflanzen vor: mittels einer »Nachfahrin« der Zwergpalme von Padua, an der Goethe 1786 seine Metamorphose-Idee lebhaft vor Augen stand, einer Zeichnung, mit der er symbolhaft das prozesshafte Wachstum einer Pflanze einzufangen suchte, nicht zuletzt mittels seiner Metamorphosengedichte, mit denen er die Brücke zwischen Naturforschung und Poesie schlug. Auch in dieser Hinsicht möchte das Museum ins Heute ausstrahlen — als Ort, der Natur- und Kunstwissenschaften in befruchtende Wechselwirkung treten und — darüber hinaus — das spezifische Goethe-Erbe Jenas wieder stärker ins Bewusstsein rücken lässt.