Jena, Gärtnerhaus im Botanischen Garten, links der Pulverturm (1806?)

Goethe im Inspektorhaus des Botanischen Gartens

1817 - 1830
Jena, Gärtnerhaus im Botanischen Garten, links der Pulverturm (1806?)
Abbildung: Johann Wolfgang von Goethe

Ende Mai 1817 kann Goethe sein Sommerquartier in der Universitätsstadt Jena in das Inspektorhaus des Botanischen Gartens verlegen. Dessen Direktor Friedrich Siegmund Voigt überlässt ihm seine Dienstwohnung im Erker der ersten Etage, wohin Goethe auch die „Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst“ verlegt.

Das Inspektorhaus stammte aus dem 17. Jahrhundert. Das Erdgeschoß enthielt, wie ein alter Grundriss zeigt, einen Kuhstall, eine Waschküche und Gelasse zur Aufbewahrung von Ackergeräten und landwirtschaftlichen Vorräten. In seiner „Clausur auf dem Blumen- und Pflanzenberge“ verbringt Goethe, rechnet man allein die Aufenthalte der Jahre 1817 und 1819 bis 1822 zusammen, über 300 Tage. 1820 wohnt er dort ununterbrochen vom 31. Mai bis zum 4. November, also insgesamt über 5 Monate.

Während seiner Aufenthalte widmet er sich intensiv den verschiedenen Feldern der Naturforschung, publiziert seine Zeitschrift „Zur Naturwissenschaft überhaupt, zur Morphologie insbesondere“ (1817-24), arbeitet literarisch, wissenschaftspolitisch wie -museologisch. Im Inspektorhaus empfängt Goethe Wissenschaftler und Gäste der Universität zum Gespräch, bewirtet wiederholt Großherzog Carl August, einmal auch den Großherzog Carl Friedrich und seine Gemahlin Maria Pawlowna. Im August 1820 modellieren die Berliner Bildhauer Christian Daniel Rauch und Christian Friedrich Tieck gleichzeitig ihre Büsten des einundsiebzigjährigen Goethe in dessen Gartenwohnung.

Anlässlich des 50. Dienstjubiläums von Carl August im September 1825 veranlasst Goethe den Neubau des Hauses, das bis zum Grund abgerissen und nach Plänen des Architekten Clemens Wenzeslaus Coudray an der alten Stelle, aber mit der Front nach Osten, also in den Garten hinein, neu errichtet wird. Nach der Fertigstellung besichtigt Goethe im Oktober 1827 den Neubau, die dreiflügelige Anlage aus gelb verputzten Fachwerkgebäuden um einen kleinen, annähernd quadratischen Innenhof. Zum letzten Mal kommt er im Jahr 1830 nach Jena und übernachtet vom 19. zum 20. Juni in seiner Gartenwohnung. Das „Tagebuch“ vermerkt dazu:

19. Juni 1830

[…] Gegen Abend nach Jena. Im botanischen Garten abgestiegen und den Erker bezogen. Fand alles in bester Ordnung. Die Terrasse zunächst des Hauses sehr löblich angelegt. An den Wegen war noch einiges zu thun. Mit Baumann die Wege durchgegangen. Einiges notirt zu meinen nächsten Zwecken. Dr. Weller, Custos Färber. Verabredung wegen morgen.

20. Juni 1830

Früh aufgestanden. Die Angelegenheiten überdacht. Im botanischen Garten. Um 10 Uhr in's Schloß mit Dr. Weller. Erst das mineralogische, dann das zoologische Museum durchgegangen. Das kleinere mineralogische zu didactischem Zweck, ingleichen das Auditorium. Ferner die beyden untern Säle. Überall gute Ordnung und Zucht. Durchaus die größte Reinlichkeit auf's Neue empfohlen. Mittag mit Dr. Weller. Manches über die Jenaischen Zustände. Nachmittag dessen Schwester und zwey Kinder. Die Professoren Voigt und Göttling gesprochen und das Nächste mit ihnen verhandelt. Dr. Wellern einige Aufträge wegen des botanischen Gartens gegeben. Um 4 Uhr abgefahren. Furchtbar geballte Wolkenberge über dem Harz. Der ganze Horizont ringsumher regen- und gewitterhaft. Gewaltsames Wetter ging an dem Ettersberg hin über Weimar weg und faßte uns zwischen Frankendorf und Umpferstedt. Nach wenigen Minuten war es vorüber, die Sonne schien wieder, aber der ganze Horizont war umlagert und umtrübt. Nach Hause gelangt macht' ich noch Ordnung in manchen Dingen. Recapitulirte das am heutigen Tage Geschehene. […] --- Herrn Frommann die Revision des ersten Bogens Metamorphose.

 

Goethes Leben im Inspektorhaus im Spiegel ausgewählter Briefzeugnisse

Goethe an seinen Sohn August von Goethe, 27. Mai 1817

[Concept.]
Die heitere Aussicht in das botanische Gartenquartier zu ziehen, welches mir Voigt gar freundlich abtritt, wird durch das anhaltende Regenwetter getrübt ja vernichtet, zu diesem Übel gesellt sich ein Geschwulst am linken Fuße, den ich mir durch unablässiges Spazierengehen auf feuchtem Boden mag zugezogen haben. Rehbein [der Weimarer Hofmedicus Wilhelm Rehbein, der Hausarzt Goethes], dem ich schon einen Boten geschickt hatte, war zufällig hier und er hat allerley löbliche Vorkehrungen getroffen, wobey mir vor der Hand das Leiden und die Unbequemlichkeit bleibt. Diese Unbilden benutze ich zu meinen Redactionen, besonders der Reise nach Neapels und Sicilien. Im Fegefeuer gefangen gedenke ich des Himmels.

Frommann ist wieder zurück. Mit meinen natur-historischen Heften geht es auch ganz frisch vorwärts, so daß die schlechtesten Tage doch immer für die Folge etwas Nützliches und Vergnügliches bereiten.

So eben stürzt das Regenwasser durch die Gassen der Stadt, als ob es Mittwoch oder Sonnabend wäre. So rein ist Jena lange nicht gewaschen worden. […]

Nun lebe wohl und laß mich bald etwas hören. Und sende mir Fachinger Wasser sobald es ankommt. Rehbein quält mich daß ich es mit weißem Wein trinken soll, deswegen laß deine nächste Sendung weißem Wein gewidmet seyn.

Die übersendeten Georginen [gemeint sind Dahlien als Gartenpflanzen] wünsche dereinst blühen zu sehen, man versichert mir, es seyen schöne Sorten. Lebe wohl! und melde mir Gutes von dir und Ottilien […].

 

August von Goethe an seinen Vater, Weimar, 28. Mai 1817

Tausend Dank für Ihren lieben und freundlichen Brief, aus welchem ich zwar ungern ersehen habe daß Sie, gleich dem Philoctet, leiden aber zugleich die erfreuliche Nachricht entnommen daß durch eine neue freundliche Wohnung der Ihnen so förderliche und angenehme Aufenthalt in Jena noch verschönt werde. Ich wünschte nichts inniger als bei dieser Quartier-Veränderung meine Talente als Marechal du Palais, Tapezier Martin u. s. w. zeigen zu können um den neuen Aufenthalt recht angenehm und erfreulich zu machen.

Zögern Sie ja nicht dieses neue Logis schleunigst angenehm einrichten zu lassen, denn es ist ein großer Unterschied Jenaς. Regenwetter im Bischoffschen Gefängniß oder in der botanς. Wilde auszuhalten.

Damit Ihnen aus dieser neuen Einrichtung keine Sorge und Unbequemlichkeit erwachse, auch dieselbe schnell möglichst befördert werde, möchte ohnmasgeblich vorschlagen fremde Hände in Bewegung zu setzen und hiezu den Schloßvoigt Schöning und Färbern emfpfehlen, deren vereinigte Kräfte gewiß zur schleunigsten Ausführung zusammen wirken werden.

Ziehen Sie ja aus der Tiefe des Jenaς. Stadtpfuhls auf die freundliche Blumenhöhe, damit man Ihnen aus der Feme die schönen Worte aus Tell zurufen könne:

„Bei diesem Licht, was uns zuerst begrüßt
Von allen Völkern die, tief unter uns,
Schwer athmend wohnen in dem Qualm der Städte-" 

und den Ihrigen beim Erwachen der freudige Gedanke entgegen kommen möge Sie in diesen erfreulichen herzenhebenden Umgebungen zu wissen. Ich möchte im prophetischen Geiste voraussagen, daß diese Veränderung des Quartiers, welche sogar früher projectirt jedoch, durch manche Hinderniße erschwert, sich jetzt so schön von selbst darbietet, den heilsamsten und erstaunlichsten Einfluß auf Sie haben und der moralischen Weltordnung ihren unwiederruflichen Einfluß bezeugen werde.

 

Goethe an Carl Friedrich Zelter, 29. Mai 1817

[…] Die neue Belebung von Jena hat auch für mich im Natur-Fache viel Anregendes gebracht, und ich stehe wie Hesekiel verwundert, daß das alte Knochenfeld auf einmal lebendig wird. Vor Johannis, denke ich, soll ein Heft von zwölf Bogen ausgehen, wo ich, in mehreren Colonnen, meine alten Garden der Naturbeherrschung werde aufmarschiren lassen. […] Da ich nun eine schöne heitere Gartenwohnung bezogen, so soll der zweyte Theil meiner Italienischen Reise auch an die Reihe, freilich mit dem alten Motto auch Ich in Arkadien. […]

Dieses sind meine Thätigkeiten, ob ich gleich zu Ende May in der lieblichsten Gartenwohnung unbehaglich umnebelt friere, und erst recht einen ungeheuern Ofen von 1661 in meinem mäßigen Zimmer begreife. Was waren doch unsere Vorfahren für gescheute Leute! […]

 

August von Goethe an seinen Vater, Weimar, 29. Mai 1817

Es freut mich sehr, lieber Vater, daß ich gestern, gleichsam im Geiste, an Ihrem Auszug und neuen Einrichtung mitgearbeitet habe. Ich muß frei gestehen, daß ich dieses Ereigniß, nach unserer Art zu reden, für einen Stern halte, welcher hoffentlich für die Zukunft ein angenehmes Licht über Ihre Jenaς. Verhältniße verbreiten wird. Was Ihre häusliche Einrichtung daselbst betrifft mache ich mir es zur Freude und Pflicht Sie nach und nach mit allem nöthigen Hausrath und Bequemlichkeiten zu versehen. […]

Hierbey ein kleines Verzeichniß der für diesmal beyfolgenden kleinen wirthschaftlichen Sendung:

1. Zwey Tischtücher,
2. Zwölf Servietten, wovon 6 blau mit v. G. bezeichnet und 6 von der starken breitstreifigen Frankfurter Sorte.
3. Zwölf Speiseteller
4. Vier Suppenteller.
5. Sechs Desertteller
6. Vier ordinaire Weingläser
7. Ein Präsentirteller
8. Ein gläsernes Salzfaß
9. Vier Tassen von versch. Sorten.
10. Zwey Eyer Näpfchen.
11. Eine Senfbüchse mit Löffel
12. Ein Saucen Näpfchen
13. Ein Fußteppich

Ferner folgt durch Botenweiber
Vier Gläser Bischoff-Essenz
Ein Päckchen mit einigen Pfeffernüssen und Zuckerwerk-Resten
Eine abgekochte Rindszunge

 

Goethe an Christian Gottlob Voigt, 8. Juli 1817

Ew. Excellenz

freundliche Sendungen und ununterbrochne Theilnahme erwidere mit dem aufrichtigsten Dank. Meine Körperlichkeiten, die mich keine großen Sprünge machen lassen, erlauben mir wenigstens innerhalb meiner Clausur auf dem Blumen- und Pflanzenberge in  meiner Art schriftlich und drucklich thätig zu seyn, wovon vielleicht nächstens einiges mit Vergünstigung mitzutheilen wäre.

 

Goethe an Johann Jacob und Marianne von Willemer, 2. September 1820

[…] Dem wohlgemeinten Feste, welches die Universität mir [zum 71. Geburtstag] zugedacht, konnt ich mich nicht entziehen, und so ist denn dieser Tag lebhaft genug, mit Angebinde und Gastmahl hingegangen; auch der Nacht gebrach es nicht an Musik und Fackelschein. Nun aber ist das gute Jena und ich mit ihm wieder in seinen stillen Zustand zurückgekehrt.
Wie mich in demselbigen die, zwar eigensinnigneckisch genug verclausulirte, meinem Hellblick aber und magnetischer Schaukraft offenbare liebenswürdige Gabe höchlich erfreut, davon mögen diese Berge und Thäler, Gärten, Alleen, Wiesen und Pflanzungen ein Zeugniß geben. Ich schildere wirklich, obgleich nur im Vorübergehen, die Anmuth meiner Wohnung, die ich gegenwärtig im botanischen Garten aufgeschlagen; auf dem höchsten Puncte der Vorstadt, einen lieblichen sanften Abhang diesseits, einen bergigen Anstieg jenseits der Saale beherrschend. Freylich ist es eine Enge gegen den weiten herrlichen Horizont, dessen meine Freunde genießen; aber dem Geschäft gerade zusagend, dem ich mich eigentlich zu widmen habe.

 

Goethe an den Großherzog Carl August, 6. Oktober 1820

[…] Der Mond hat mich dießmal, mit allen seinen Phasen bis zuletzt, gar sehr unterhalten, da er immer noch als der späteste Freund hinter dem Bergrücken [dem Hausberg] hervortritt; Jupitern mit seinen Trabanten begrüß ich nächtlich, mit meinem Fernrohr, die Plejaden glaube ich niemals schöner gesehen zu haben. Ich denke, durch den Cometensucher müßten sie sich ganz unschätzbar zeigen. So kommt alles auf die Umstände an, die freye Aussicht auf den Morgenhimmel ist zu solchen Nacht-Beschauungen höchst anlockend. […]

 

Goethe an Christoph Ludwig Friedrich Schultz, 24. September 1821

Nun bin ich seit Sonnabend den 15. wieder in Jena, in derselben morschen Schindelhütte, wo wir doch wiederholt so schöner Tage genossen, bringe meine Geschäfte, die Sie kennen, vor Winters in Ordnung und leide, nach wie vor, an dem cimmerischen Nebel-Regen-Wetter, welches mir die Berge gegen meinen Fenstern über verhüllt und verdüstert.

 

Goethe an Carl Friedrich Zelter, 14. Oktober 1821

[…] Unter den zahmen Xenien wirst du künftig finden: 

Willst du dich als Dichter beweisen,
Mußt du nicht Helden noch Hirten preisen;
Hier ist Rhodus! Tanze du Wicht!
Und der Gelegenheit schaff ein Gedicht!

Dieses erlasse gegenwärtig, mein Theuerster, am 14. October in Jena, an demselben Puncte wo vor soviel Jahren alles zusammen nur Ein Untergang war; heute dagegen, als am Sonntage, ist es hier außen so stille, daß, wenn nicht zu einer Staatstaufe die Gevattern und andere Zeugen zusammengefahren würden, man die Räume für ausgestorben halten sollte.

Indessen grünen die alten Linden noch ganz herrlich, welche jenem Schlachtgetümmel und Bränden ruhig zusahen, und ich schleiche noch manchmal aus meiner unscheinbarsten Hütte in den botanischen Garten […].